Kollektive Intelligenz

Da ein ARG großteils auch über das Internet gespielt wird und zusätzlich viele andere dialogorientierte Medien eingesetzt werden, wird eine hohe Erreichbarkeit erzielt. Viele Menschen kommen also im Internet auf Websiten, Social Networks, Foren, etc. zusammen und müssen nun kollektiv agieren. Wie eingangs erwähnt, ist es einem einzelnen Menschen oder auch nur einer kleinen Gruppe nicht möglich, so ein Spiel im Alleingang aufzulösen. Kollektive Intelligenz meint das Zusammenkommen von vielen Menschen (im Internet), die untereinander Hinweise austauschen, somit gemeinsam Rätsel lösen, sich gegenseitig organisieren und das Spiel quasi mit Inhalten befüllen (vgl. Weschke 2010b, S. 2).

Der französische Philosoph Pierre Lévy definiert kollektive Intelligenz wie folgt: „Es ist eine Intelligenz, die überall verteilt ist, sich ununterbrochen ihren Wert erschafft, in Echtzeit koordiniert wird und Kompetenzen effektiv mobilisieren kann.“ (Lévy 1997, S. 29 in Weschke 2010b, S. 3)
Ich möchte hier vor allem noch auf zwei wichtige Elemente in Lévys Definition eingehen – Koordination und effektive Kompetenzen. Dadurch dass so viele Menschen in einem gleichen Zeitraum aufeinander treffen und versuchen, Probleme zu lösen, ist ein gewisses Maß an Koordination erforderlich, um dem Aufwand des „Rätsellösens“ gerecht zu werden. Es kann jederzeit passieren, dass während des Spielverlaufs gewisse Hinweise als irrelevant betrachtet werden. Dies hat automatisch zur Folge, dass neue Hinweise als relevant angesehen werden und auf diese konzentriert sich dann ein gewisser Teil der Community. Diese Geschehnisse erfordern Organisation und Koordination in Echtzeit. Die Menschen müssen sehr genau recherchieren und flexibel reagieren. Gibt es zu wenig Organisation innerhalb der Gruppe, kann es passieren, dass Chaos entsteht und die Problemlösung zusätzlich erschwert wird.

Darauf aufbauend organisieren sich die Gruppen so, dass die Kompetenzen effektiv verteilt sind. Auch hier kann Lévy passend zitiert werden: „Niemand weiß alles, jeder weiß etwas, in der Menschheit liegt das gesamte Wissen. … “ (Levy 1997, S. 30 in Weschke 2010b, S. 3). Innerhalb der Gruppe tut also jede Person das, was sie am besten kann. Wenn sich so eine gigantische Masse an Menschen an einem Ort, wie z.B. einer für ein ARG eigens kreierten Webseite, treffen, besteht eine sehr große Vielfalt an Potenzial, das effektiv genutzt werden kann. Jeder profitiert auch von den Erfahrungen und dem Wissen anderer (vgl. Weschke 2010b, S. 4).
Ein gutes Beispiel für die effektive Nutzung der Kompetenzen eines mächtigen Kollektivs wird unten am Beispiel des ARGs „The Lost Ring“ erklärt.

Als der Klassiker von allen Beispielen kollektiver Intelligenz kann die Internetplattform “Wikipedia” angesehen werden. Ein Beitrag in Wikipedia kann theoretisch hunderte Autoren haben, da einfach jeder Mensch die Möglichkeit hat, neue Einträge einzustellen und bestehende Einträge zu verändern. Wikipedia ist also ein Wissensspeicher der gesamten Menscheit, der kontinuierlich weiter wächst und das Wissen einzelner Individuen immer wieder neu bereichert (vgl. Weschke 2010b, S. 8 ).

Bei dem ARG „The Lost Ring“, bei dem mehr als 5.000 aktive Spieler und rund 2,5 Mio. passive Zuseher mitwirkten, war eine beständige “kollektive Intelligenz” unbedingt notwendig. Als die Spieler erste Hinweise bekamen, berichteten sie darüber in ihren Blogs. Dadurch entstanden bereits einige Kreise von Interessenten. Da einige Spieler zu dem Zeitpunkt bereits mit ARG’s zu tun hatten, verbreiteten sie die Informationen der ersten Hinweise auf diversen ARG-Webseiten. Die Involvierten generierten ein Wiki, das speziell nur für dieses ARG angelegt wurde. Dadurch hatten auch Spieler, die erst später eingestiegen sind, die Möglichkeit, den Hinweisverlauf nachzuvollziehen. Durch diese Erstellung verschiedenster Informationsquellen wuchs der Kreis der Interessenten immer mehr und somit wurden auch immer mehr Menschen auf dieses ARG aufmerksam (vgl. Weschke 2010b, S. 8 ff).

Eine Rätselaufgabe dieses ARG’s war es, herauszufinden, was “Trovu la ringon perditan” bedeutet. Es sticht klar heraus, dass dieser Satz in einer Sprache geschrieben ist, die nur wenigen Menschen in diesem Spiel geläufig sein konnte. Diese Nachricht verbreitete sich in kürzester Zeit in aller Welt und wurde dementsprechend schnell auch gelöst. In diesem Fall gab es ein Spieler, die klar herausstellen konnten, dass “Trovu la ringon perditan” in Esperanto genau so viel bedeutet wie, “Find the Lost Ring” in Englisch oder “Finde den verlorenen Ring” in Deutsch. Die Spieler haben sich so gut organisiert, dass die Nachricht an die Spieler weitergeleitet wurde, die bereit waren, das Rätsel mit ihren Kompetenzen zu lösen. Gerade bei einem ARG wie diesem, welches über die ganze Welt verteilt gespielt wurde, wächst der Grad der Komplexität stark an, da Rätselaufgaben in verschiedenen Sprachen gestreut, also veröffentlicht und zur Lösung freigegeben werden (vgl. Weschke 2010b, S. 13).

Kollektive Intelligenz passiert also automatisch. Ohne dieses komplexe Konstrukt von Wissen und Organisation würde ein ARG nicht funktionieren.

Quellen:

Weschke, Diana (2010b): Kollektive Intelligenz in Alternate Reality Games – Am Beispiel von “The Lost Ring”, Norderstedt Deutschland: GRIN Verlag